- Allgemeines
- Ursachen
- Entstehung von Atemnot
- Symptomatik und Erfahrungen
- Selbsthilfe
- Hilfe bekommen
- Anmerkungen
Wenn man unter Symptomen wie Atemnot leidet, für die keine körperliche Ursachen gefunden werden, ist es wichtig zu verstehen, wie diese Symptome entstehen. Nachdem mir vor Ort das niemand sagen wollte :-), habe ich mich dann selbst mit der Thematik beschäftigt. Ich war doch überrascht, wie viel Wissen es zu dem Thema gibt. Aus diesen hier beschriebenen Zusammenhängen lassen sich dann auch Veränderung in der eigenen Denkweise, wie man die Symptome wahrnimmt und Verhaltensänderungen ableiten.
Wie wir körperliche Vorgänge wahrnehmen
Interozeption
Körperliche Wahrnehmungen entstehen durch Interozeption. Dieses besteht aus einem neuronalem Netzwerk für Vorhersagen, was sich, in einer Situation körperlich verändern soll (z.B. dass ich vor einer Gefahr wegrennen muss) und Netzwerk um Empfindungen zu simulieren. Die Voraussagen erfolgen auf Basis von Erinnerungen. Eine Empfindung wie Atemnot entsteht nicht im Organ, sondern ist ein kognitiver Prozess. Die körperlichen Wahrnehmungen sind Voraussagen auf Basis von Erinnerungen und aktuellen sensorischen Daten aus den Organen. Diese Voraussagen werden in Schleifen mit weiteren sensorischen Daten überprüft. Das Gehirn sitzt im Prinzip in einer black box und hat zunächst keine Ahnung was außerhalb des Körpers existiert und weiß auch nicht, was im restlichen Körper passiert. Es empfängt große Mengen von sensorischen Daten z.B. von den Augen oder aus dem Körper und muss diese so interpretieren, dass der Körper leben und überleben kann. Dazu müssen aber Voraussagen getroffen werden. Es kann nicht erst die sensorischen Daten solange abwägen, bis es wirklich sicher ist, ob ich mich in einer Gefahr befinden. Dazu müssen Voraussagen gemacht werden. Wenn ich vor einer Gefahr wegrennen muss, muss Cortisol ausgeschüttet werden und es muss Zucker zu den Muskeln transportiert werden. Das dauert einige Zeit. Das Gehirn bewertet dazu wie oben beschrieben die Situation auf Basis von Wahrscheinlichkeiten.
Interozeption ist fehleranfällig: Voraussagen, die aktuellen sensorischen Daten widersprechen, können nicht so leicht korrigiert werden. Außerdem ist Interozeption oft langsam, wenn sich sensorische Signale verändern, wenn also z.B. eine (subjektiv) wahrgenommen oder Gefahr nicht mehr besteht. Interozeptive Wahrnehmungen werden durch Affekte beeinflusst. Affekte sind eine allgemeine Grundstimmung und dauern länger an, Emotionen sind eher kurzfristige Empfindungen.
Wahrnehmungen, Emotionen und Konzepte
Wahrnehmungen und Emotionen werden vom Gehirn durch Konzepte erzeugt und haben keine feste Ursache. Ein Konzept ist ein bestimmtes neuronales Muster, das erlernt wurde und frühere Erfahrungen repräsentiert. Konzepte bestehen aus anderen Konzepten, die dann speziellere Erfahrungen repräsentieren. Daraus folgt, dass ein bestimmtes Ereignis oder eine bestimmte Situation nicht ein bestimmtes Gefühl (oder Wahrnehmung) erzeugen muss. Ich kann diese Verbindung verändern. Bei Wahrnehmungen und Gefühlen spielt also das, was ich in der Vergangenheit gelernt habe, eine große Rolle. Das, was ich wahrnehme (Gefühl, eine z.B. visuelle Wahrnehmung oder eine Empfindung im Körper) besteht aus Erinnerungen, sensorischen Signalen und wird auch von Affekten beeinflusst. Ich muss z.B. gelernt haben, wie ein Tisch aussieht, um das Objekt Tisch von den vielen Sinneseindrücke aus meiner Umwelt (von denen nur ein geringer Teil wirklich verarbeitet wird) abzugrenzen. Ähnlich ist es mit Gefühlen.
(Es gibt eine Statistik, nach der Haftrichter/innen in den USA vor dem Mittag eher zu Ungunsten des Inhaftierten entscheiden. Erklärt wird das damit, dass die Richer/innen bei der Entscheidung auch auf ihr Bauchgefühl hören. Eine entsprechende negative Entscheidung basiert nicht nur auf Fakten. Die haben Hunger. Genauso kann ich ein flaues Gefühl im Bauch (unbewusst) als Erkältung, Hunger, Prüfungsangst oder Verliebtsein interpretieren, je nach Kontext. Diese Interpretation kann aber auch falsch sein. Bei anderen interozeptiven Wahrnehmungen ist es genau so.
Atemnot und Interozeption
Atemnot entsteht also im Gehirn, nicht im Organ. Die Atemnot ist damit eine Voraussage auf Basis von Erinnerungen und aktuellen sensorischen Daten. Diese Voraussage kann fehlerhaft sein.
Atemnot kann entstehen, wenn die sensorische Empfindlichkeit für den Atemreiz verringert ist oder wenn das System aus Voraussagen und Gewichtung sensorischer Signale aus der Lunge oder anderen Körperteilen gestört ist.
Die mit Atemnot verbundenen Gefühle entstehen durch Konzepte. Ich erzeuge mir (unbewusst) Atemnot nicht nur in einer bestimmte Situation, sondern auch durch andere Wahrnehmungen und Erinnerungen.
Verringerte sensorische Empfindlichkeit
Eine verringerte sensorische Empfindlichkeit kann auch die Wahrnehmungsgenauigkeit verringern. Zum Beispiel kann Angst mit einer gedämpften Empfindlichkeit gegenüber den Atemreizen zusammenhängen. Damit ist dann eine stärkere Änderung des Atemreizes erforderlich, um interozeptive Schwellenwerte zu erreichen. Das hat zur Folge, dass man sich bei der Bildung von Wahrnehmungen stärker auf Erwartungen verlässt. Angst bedeutet aber auch, dass man wachsamer gegenüber Bedrohungen und anderen körperlichen Empfindungen ist. Das hat verstärkt dann die Symptome.
Gewichtung sensorischer Signale
Je genauer eine Vorhersage oder ein sensorischer Wert ist, desto größer ist das Vertrauen in dieses Signal und desto größer ist der Einfluss, den es auf die endgültige Wahrnehmung von Atemnot hat. Präzise Vorhersagen und ungenaue Sinnessignale können dazu führen, dass man einen Reiz anders wahr nimmt, als der tatsächlich ist. Es ist also wichtig, dass sowohl die Vorhersagen genau sind, aber auch dass die sensorischen Informationen vom Körper präzise sind. Mehrdeutige Reize erzeugen ungenaue eingehende Sinnessignale. Die Wahrnehmung ist dann stärker von den Vorhersagen abhängig und diese haben dann eine stärkere Bedeutung für die endgültige Wahrnehmung. Das hat auch zur Folge, dass man stärker seinen Wahrnehmungen, die dann verzerrt sind, glaubt. Diese Mechanismen werden dann durch Affekte noch verstärkt (1).
Auch hier der Hinweis: Ich bin ein Laie und habe mir dieses Wissen selbst durch Bücher und entsprechende Fachartikel angeeignet.
Quellen
Das Thema ist sehr umfassend. Ich habe hier nur ein paar der Quellen aufgeführt, die ich speziell zum Thema Atemnot gelesen habe. Weitere Quellen zu den Themen Interozeption, Wahrnehmung und wie Gefühle entstehen, habe ich im Artikel Das Verständnis für unsere kognitiven Prozesse im Alltag aufgeführt.
Artikel zur Atemnot
1) 🡵 https://journals.lww.com/co-supportiveandpalliativecare/fulltext/2019/09000/breathlessness_and_the_brain__the_role_of.10.aspx
2) 🡵 https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fpsyg.2020.01980/full#B43
3) 🡵 https://www.nature.com/articles/s41598-017-11045-y#Sec17
4) 🡵 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6509155/
Artikel über Interozeption