Was ist Angst?

Ich habe leider immer noch nicht so richtig verstanden, was Angst ist. Ich weiß mittlerweile, dass das, was man auch im therapeutischen Bereich oft so hört, zu sehr vereinfacht. Das Problem ist dass das Wort „Angst“ oft für verschiedene Mechanismen verwendet wird, für die man eigentlich unterschiedliche Begriffe verwenden müsste. Mit Angst kann ein Zustand eines Gehirns gemeint sein, dass Verhalten steuert oder das bewusste Gefühl Angst.

Joseph LeDoux unterscheidet in seinem Buch „Bewusstsein Die ersten vier Milliarden Jahre“ deswegen implizite und explizite Angst (S. 363 ff).

Implizite Angst sind die körperlichen Reaktionen wenn ein Lebewesen z.B. in Gefahr ist und wegrennt. Daran sind dann die Amygdala und andere neuronale Netzwerke beteiligt. Die Amygdala spielt dabei eine wichtige Rolle bei physiologischen Reaktionen und dem Verhalten bei einer Gefahr. Die Amygdala ist aber nicht für das bewusste Gefühl der Angst verantwortlich. Die Amgydala kontrolliert also das nichtbewusste Verhalten eines Lebewesens.

Die explizite Angst hat ihren Ursprung in den kortikalen kognitiven neuronalen Netzwerken (also der äußeren Schicht des Großhirns [Cortex]), die für die bewusste Erfahrung des Angstgefühls zuständig sind.

Es ist also möglich, dass physiologische Angstreaktionen erzeugt werden, das Lebewesen aber keine Angst spürt. Das Gefühl Angst ist somit nicht für diese körperliche Reaktion verantwortlich.

Die angesprochenen Unterscheidungen muss man auch bei anderen mentalen Zuständen wie Hunger oder Freude machen. Einmal sind die bewussten Gefühle gemeint, ein anders Mal kognitive Prozesse, die das Verhalten eines Lebewesens kontrollieren.

Bei einer Angststörung sind die Vorhersagemechanismen im interozeptiven Netzwerk 1 und dem Netzwerk, was diese Vorhersagen kontrolliert, gestört. Diese Vorhersagen sind zu ungenau. Das bedeutet, es werden zu viele Vorhersageirrtümer produziert. Das Angstgefühl (oder die explizite Angst) ist also dann unbegründet und das Gehirn sagt fälschlicherweise z.B. eine Bedrohung voraus. Angstgefühle werden dabei, wie jede Emotion, vom Gehirn konstruiert2. Der Satz „Etwas macht mir Angst.“ ist damit falsch. Ich erzeuge mir die Angst (das Angstgefühl) und damit kann ich dieses Gefühl auch beeinflussen.

Ich hab dazu viele Fragen. Man kann aus dieser kompakten Darstellung aber bereits einige praktische Schlussfolgerungen ableiten. Ich traue mich das hier aber nicht aufzuschreiben. Ich bin Laie, die Gefahr, dass ich hier falsch argumentiere, ist einfach zu groß.

Sicherlich ist das ein Thema, zu dem es viele Meinungen gibt. Viele Zusammenhänge verstehen wir auch noch nicht. Für mich gliedern sich aber diese Aussagen gut in mein neues Verständnis über die Funktionsweise unseres Gehirns ein, so wie ich das im Artikel ­🡺 Wie wir denken, fühlen und unsere Umwelt und unseren Körper wahrnehmen beschrieben habe.

Etwas persönliches dazu noch:
Im Falle der Atemnot kann es ja so sein, dass sie u.a. aufgrund von undeutlichen Signalen vom Körper und aufgrund einer Erwartungshaltung entsteht, so wie das in der Studie 🡵 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6686955/ gut beschrieben wird. Durch die Atemnot bekomme ich ein Angstgefühl (explizite Angst), das Stressniveau steigt, was dann die Atemnot verstärkt und noch mehr Angst macht usw. Atemnot und und das Angstgefühl verstärken sich gegenseitig. Ich habe nun 2 Möglichkeiten: Ich kann auf die Atemnot und das Angstgefühl Einfluss nehmen. Auf die Atemnot habe ich Einfluss, in dem ich z.B. Stress reduziere. Auf das Angstgefühl kann ich u.a. Einfluss nehmen, in dem ich mir die oben beschriebenen Prozesse, während ich mich in einer Situation befinde, in der ich Atemnot habe, verdeutliche3. Genau das habe ich beim Radfahren gemacht, mit dem Ergebnis, dass ich zwar Atemnot habe, aber deutlich weniger Ängste verspüre. Auch die Stärke und Dauer der Atemnot konnte ich reduzieren. Dadurch hat sich auch mein Erfolgsradius vergrößert. Ich habe das innerhalb weniger Tage geschafft. Für mich ist das deswegen ein vielversprechender Ansatz. Wichtig war mir dabei auch, dass ich das Erlebte positiv bewerte. Unsere Erinnerungen beeinflussen unsere aktuellen Wahrnehmungen sehr stark. Wichtig ist also in der aktuellen Situation an seinen Erinnerungen für das nächste Mal, in der ich mich in einer Situation mit Atemnot befinde, zu arbeiten. Dazu braucht es auch Geduld. Man darf nicht zu viel wollen. (Das sind die Gedanken eines Laien dazu, man müsste über die Thematik deswegen mal mit Fachleuten reden.)

  1. Das Interozeptive Netzwerk im Gehirn ist das Netzwerk, das die Informationen über die Außenwelt und den Körper verarbeitet. Dabei werden ständig Voraussagen getroffen, welchen Zustand der Körper haben soll, um, in dem Fall, auf eine mögliche Bedrohung reagieren zu können.
  2. Lisa Feldmann Barrett: Wie Gefühle entstehen, S.366ff
  3. Es gibt da viele Möglichkeiten. Man kann z.B. mal kurz stehen bleiben, Entspannungstechniken anwenden, Imaginationen durchführen, Achtsamkeitsübungen durchführen usw.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert